Die Analfistel des Sonnenkönigs

König Ludwig XIV. (1638-1715)

Der absolutistische französische König Ludwig XIV. (1638-1715), auch Sonnenkönig genannt, entwickelte einen perianalen Abszess. Zahlreiche Behandlungsversuche waren erfolglos. Erfahren Sie, wie dem König schließlich geholfen wurde und welche Auswirkungen dies auf die Chirurgie hatte.1

Autor: Christoph Renninger

Probleme am königlichen Hintern

Im Januar des Jahres 1686 formte sich ein Tumor am Unterkörper des Königs. Sein Leibarzt Antoine Daquin beschreibt ihn als kleinen Knoten, zwei Fingerbreit vom Anus entfernt, nicht schmerzhaft, gerötet oder pulsierend. Wahrscheinlich wurde der Knoten durch eine entzündende Drüse ausgelöst, da dies im 17. Jahrhundert häufig vorkam.

Die Ärzte des Königs begannen die Behandlung mit verschiedenen Arten von Kompressen, etwa mit Zucker, verschiedenen Kräutern oder in Rotwein gekochten Rosen. Als sich aus dem Knoten ein perianaler Abszess entwickelte, wurde dieser punktiert, um Eiter abzulassen. Den entstandenen Hohlraum füllten die Ärzte mit verschiedenen Substanzen, zu großem Schmerz des Königs.

Ludwig XIV. wurde zunehmend wütend, da der Abszess weiter eiterte und er sich deshalb täglich 2-3-mal umziehen musste. Seine Beschwerden dauerten Monate an, auch die Schmerzen nahmen zu. Ein jedes Mal, wenn er sich besser fühlte, machten es die Hofärzte durch Einläufe und Abführmittel wieder schlimmer. Nach vier Monaten hatte sich eine Fistel gebildet. Regelmäßige Behandlungen mit rot-glühendem Eisen hatten die Ausmaße noch vergrößert.

Nach Monaten der Schmerzen und anderer Beschwerden realisierte der Herrscher, dass seine Ärzte machtlos waren, und entschied sich für eine Operation. Bis dahin isolierte er sich mürrisch in seinen privaten Gemächern in Versailles. Am Hofe war er nur noch selten zu sehen, er musste das Reiten aufgeben und in den Gärten hielt er sich in einer Sänfte auf.

Das Vorspiel zur Operation

Zur damaligen Zeit waren Chirurgen von niedrigerem Rang als Ärzte. Und kein Chirurg sollte es wagen, Hand an den König zu legen, ohne den Eingriff perfekt zu beherrschen. Die Operation wurde im Detail und streng geheim geplant. Außer den Ärzten des Königs waren lediglich seine Mätresse und geheime Ehefrau Madame de Maintenon und sein Beichtvater Pére La Chaise darüber informiert. Der Thronfolger wusste nichts davon.

Der königliche Chirurg Charles-François Félix (junior) (1635 – 1703) hatte eine derartige Operation nie zuvor durchgeführt, durfte aber experimentell Erfahrungen sammeln. An Patienten aus den Krankenhäusern in Versailles wurde der Eingriff getestet. Historiker haben erfolglos versucht, mehr über deren Schicksal in Erfahrung zu bringen. Gerüchte besagen, dass die Verstorbenen bei Sonnenaufgang heimlich beerdigt wurden und lediglich ein Patient überlebte.

 

Das königliche Skalpell (Musée d’Histoire de la Médecine, Paris)

Félix sorgte sich vor allem um die richtigen Instrumente und entwickelte das „le bistouri royal“ (das königliche Skalpell) (Abb.1). Es handelte sich um ein langes, gebogenes Silberskalpell, das inzwischen im Musée d’Histoire de la Médecine in Paris ausgestellt ist.

Der Tag der Operation

Am Tag vor dem Eingriff spazierte der König durch seine Gärten, aß mit der Familie zu Abend. Aufgrund der starken Schmerzen dabei, fasste er schließlich den Entschluss, die Operation kurzfristig um einen weiteren Tag zu verschieben. Am 18. November 1686 um 7 Uhr morgens sollte es also soweit sein.

Um keinen Verdacht zu erregen, waren die königlichen Ärzte und Chirurgen, sowie vier Apotheker in den frühen Morgenstunden auf unterschiedlichen Wegen im Vorzimmer des königlichen Schlafgemachs eingetroffen. Nach einem prä-operativen Einlauf zeigte der König großes Interesse an den Instrumenten, die zum Einsatz kommen sollten und schien seine Nerven gut unter Kontrolle zu haben.

Ludwig XIV. legte sich nun bäuchlings auf ein Bett, mit einem Kissen unter dem Bauch und weit gespreizten Beinen. Die dreistündige Operation wurde ohne eine Art der Anästhesie durchgeführt. Angeblich beschwerte sich der König nicht über Schmerzen und rief lediglich zwei Mal „Mon Dieu“, obwohl die Schmerzen qualvoll gewesen sein müssen.

Der Eingriff war ein Erfolg, der König geheilt. Später waren zwei weitere ähnliche Eingriffe notwendig. Der Sonnenkönig aber war von der Methode der Operation überzeugt, sogar sehr erfreut. Schnell machte sich die Kunde von der Heilung im Palast breit. Der König hielt von seinem Bett aus Hof, singend und in bester Stimmung. Keine zwei Tage später war Ludwig XIV. wieder auf den Beinen.

Ein Platz in den Geschichtsbüchern?

Es war die wohl berühmteste Operation des 17. Jahrhunderts, in den persönlichen Krankenakten des Königs taucht sie jedoch lediglich mit einem halbseitigen Satz auf. Daquin, mit seiner ablehnenden Haltung gegenüber Chirurgen, hätte wohl ganz darauf verzichtet. Nach dem Eingriff ordnete er zudem einen Aderlass an.

Félix als operierender Chirurg war natürlich an einer ausführlicheren Beschreibung interessiert und verfasste am Tag darauf ein 18-seitiges Dokument. Über den Verbleib dieses Berichts in den darauffolgenden Jahren ist wenig bekannt. 2007 soll er wieder aufgetaucht und bei einer Auktion für 4000 Euro versteigert worden sein.

Die Folgen der Operation

Die Bemühungen der Chirurgen wurden mit Adelstiteln, Palästen und Reichtümern belohnt. Jeder Mensch, der an einer Analfistel litt, hatte nun Hoffnung auf Heilung durch die Operation. Und wie alles, was der Sonnenkönig tat, wurde auch die Operation zur Mode am Hofe. Adlige standen Schlange, um wie der König operiert zu werden, ob mit oder ohne Fistel.

Nicht nur der König war bei der Operation sehr mutig, auch die Operateure. Eine misslungene Operation oder gar der Tod des Königs hätten schwerwiegende Konsequenzen gehabt. Die Kunde über die erfolgreiche Operation fand den Weg durch ganz Europa und viele Menschen kamen nach Frankreich, um dort von den geübten Chirurgen operiert zu werden. Paris war das Zentrum der Anatomie und Chirurgie. Zuvor von Ärzten in den Schatten gestellt, standen nun die Chirurgen im Rampenlicht.

Auch bei anderen Gelegenheiten benötigte Ludwig XIV. chirurgische Hilfe, etwa nach einem Reitunfall 1683 und aufgrund eines Abszesses an seinem Hals. Sein späterer Hofchirurg Georges Mareschal (1686-1736) war zudem in ganz Europa bekannt für seine Fähigkeiten bei der Operation von Blasensteinen.

Der Tod von Ludwig XIV. im Jahr 1715 wurde auch durch medizinische Fehler verursacht. Seine Ärzte opponierten gegen eine chirurgische Intervention und hielten eine beginnende Gangrän fälschlicherweise für Ischiasbeschwerden. Der König flehte seine Chirurgen an, sein Bein zu amputieren, aber es war bereits zu spät. Unter extremen Schmerzen verstarb der König, auch wenn durch eine frühzeitige Amputation sein Leben hätte gerettet werden können.  

Die Entwicklung der französischen Chirurgie

Durch Macht und Einfluss des Sonnenkönigs etablierte sich die Chirurgie als medizinische Disziplin. So setzte er selbst chirurgische Lehrstühle im Le Jardin du Roi (heute Jardin des Plantes) ein, oftmals im Disput mit der mächtigen medizinischen Fakultät. Die Universität sah die königlichen Ärzte mit Argwohn und war skeptisch gegenüber dem Aufstieg der Chirurgen. Die Fakultät war als reaktionär und feindselig gegenüber den neuen Ideen der Aufklärung bekannt und es kam sogar zu körperlichen Auseinandersetzungen.

Nach dem Tod Ludwig XIV. führten die nächsten königlichen Chefchirurgen eine Reihe von Reformen durch, etwa zur Neuorganisation der chirurgischen Ausbildung mithilfe erfahrener Operateure. Die ersten offiziellen Kurse wurden 1724 abgehalten. Die medizinische Fakultät wollte erfolglos die Kontrolle darüber erlangen.

Ein wichtiger Schritt war die Einrichtung der l’Academie Royale de Chirurgie 1731 mit Unterstützung von Ludwig XV. Die Einrichtung der Akademie war ein sofortiger Erfolg und war schnell in der Fachwelt angesehen. Sie existierte 62 Jahre und brachte eine große Zahl bekannter Chirurgen hervor.

Der Philosoph Voltaire (1694-1778) beschreibt, dass der Fortschritt in der Chirurgie so schnell und verblüffend war, dass Menschen aus allen Teilen der Welt nach Paris kamen, um sich operieren zu lassen. Frankreich hatte nicht nur hervorragende Chirurgen, sondern als einziges Land auch die notwendigen Instrumente.

Mit der Revolution von 1789 fand auch die königliche Akademie ihr Ende. In den folgenden turbulenten Jahren mit wechselnden Republiken, Kaiser- und Königreichen gab es wenig akademische Entwicklung im Feld der Chirurgie. Eine neue Fachgesellschaft wurde erst 1843 in Paris geschaffen.

Unter dem Einfluss der Arbeiten des Autoren und Philosophen Denis Diderot (1713-1784) vereinten sich im Medizinstudium die innere Medizin und die Chirurgie. Medizinische Einrichtungen in Paris, Montpellier und Straßburg ersetzen rein chirurgische Ausbildungsstätten.

Napoleon Bonaparte (1769-1821) verhinderte eine erneute Spaltung der medizinischen Disziplinen, indem er eine unabhängige Organisation von Chirurgen verbot. 1808 fand eine Neuorganisierung der Universitäten statt, medizinische Fakultäten wurden wieder aufgebaut, mit gleichberechtigtem Dasein der wichtigen medizinischen Fachgebiete.

Mit freundlicher Genehmnigung der coliquio GmbH.