Unterhaltsames und Schmerzhaftes aus der Geschichte der Chirurgie

Robert Liston

Seit dem Rauswurf von Adam und Eva aus dem Paradies ist die Geschichte der Menschheit immer wieder von Unheil überschattet. Die Welt der Medizin ist da keine Ausnahme und einige ihrer Vertreter haben für die bizarrsten medizinischen Katastrophen und Skandale gesorgt.

Robert Liston (1794-1847) war ein schottischer Chirurg, der dafür bekannt war, die Beine seiner Patienten in unglaublicher Geschwindigkeit zu amputieren. Die Gazetten von damals berichten, dass er weniger als 25 Sekunden für das Abtrennen diverser Gliedmaßen benötigte. Allerdings wirbelte er dabei wie eine Furie mit seinem Messer umher, sodass dabei auch mal die Finger seines Assistenten verloren gegangen sind. O-Ton Liston: „Man schicke mir einen neuen Assistenten… Was soll ich mit einem Assistenten ohne Finger…!“
In diesem Fall starben sowohl der Patient als auch sein Assistent kurze Zeit später an Gangrän, also Wundbrand bzw. Gewebsnekrose – das Absterben von Gewebe durch eine länger andauernde Durchblutungsstörung. Ebenfalls segnete ein Arzt das Zeitliche, der als Zuschauer an der Operation teilgenommen hatte. Der starb durch einen Herzinfarkt, als Liston ihn versehentlich, aber ungefährlich angeritzt hatte. Somit dürfte das die einzige dokumentierte Operation mit einer Sterblichkeitsrate von 300 Prozent sein.

Ein späterer Kollege, der britische Chirurg Richard Gordon beschrieb Liston folgendermaßen: „Er war einsachtzig groß und operierte in einem grünen Mantel. Er trug Gummistiefeln und sprang über die blutbefleckten Bretter auf seine angeschnallten, ohnmächtigen und schwitzenden Patienten wie ein Duellant und rief: ‚Time me Gentlemen, time me…!’“.

Viele Operationen, gerade im Umfeld von Universitäten, fanden öffentlich statt, so dass Ärzte und Zuschauer das Geschehen beobachten konnten. Die Studenten auf den Galerien stoppten die Dauer der Amputationen mit ihren Taschenuhren. Viele von ihnen beteuerten, dass nach dem ersten Aufblitzen des Messers sofort das Sägen des Knochens zu hören war. Um beide Hände freizuhaben, hielt Liston die blutigen Messer meist zwischen den Zähnen.

Richard Gordons Buch „Great Medical Disasters“, welches 1983 erschienen ist, beschreibt einige von Listons chirurgischen Verfahren:
„Entfernung eines 45 Pfund schweren Hodensacktumors in 4 Minuten, dessen Besitzer ihn in einer Schubkarre herumtragen musste.“
„In einer Art Blutrausch amputierte er (Liston) nicht nur den Hoden des Patienten, sondern auch noch ein Bein.“

Allerdings darf man bei den makabren historischen Beschreibungen nicht vergessen, dass vor der Einführung der Anästhesie Operationen generell sehr schnell durchgeführt werden mussten, schon um die Patienten so wenig wie möglich leiden zu lassen. Liston führte auch viele neue Instrumente ein, die in moderner Form zum Teil heute noch verwendet werden: So erfand er eine Arterienzange (die sogenannte Bulldoggenzange) oder eine Beinschiene, die wirksam bei Frakturen und Luxationen hilft. Das Listonsche Amputationsmesser ist nach ihm benannt.

Im Jahr 1846 führte Liston die erste Operation mit moderner Anästhesie in Europa durch. Bei einer Oberschenkelamputation in London verwendete er als einer der ersten Europäer die neu entwickelte Äthernarkose.

1818 wurde Robert Liston Dozent für Anatomie und Chirurgie an der Edinburgh School of Medicine, 1827 Chirurg an der Königlichen Krankenanstalt (Royal Infirmary) und 1835 (bis zu seinem Tod 1847) Professor für klinische Chirurgie am University College London. Schon 1816 wurde er als Knight Grand Cross des Order of the Bath (GCB) geadelt. Mit dieser Anekdote sollte belegt sein, dass früher doch nicht alles besser war. Schon gar nicht in der Medizin. Heute finden chirurgische Eingriffe in absolut sauberen, sterilen und vor allem nicht öffentlichen Operationssälen statt, ausgeführt von ausgewiesenen Fachleuten, die weder Rekorde aufstellen wollen, noch sich als Showmaster begreifen. Mit minimalinvasiven Verfahren können sogar komplexe Eingriffe so schonend wie möglich durchgeführt werden – kein Vergleich zu den rüden Methoden des 18. und frühen 19. Jahrhunderts.